Venuswurf Roman by Tanja Kinkel
Autor:Tanja Kinkel [Kinkel, Tanja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783426555682
Herausgeber: Knaur e-books
veröffentlicht: 2012-05-13T16:00:00+00:00
Überall im Haus war frisches Räucherwerk vor die kleinen Statuen der Laren und Penaten gelegt worden, der Schutzgottheiten jeder Familie; Aemilius Paullus hatte außerdem die Masken und Büsten der Aemilier und Vipsanier aus seiner Bibliothek hervorgeholt und im Vestibulum aufgestellt, wo er um Mitternacht seinen Entsühnungsgang begehen würde, um die Geister der Toten zu beschwichtigen. In der Küche wurden bereits die schwarzen Bohnen in eine Schale gelegt, die er bei dieser Gelegenheit hinter sich werfen musste.
Andromeda war bereits vor einiger Zeit aufgefallen, dass nirgendwo eine Maske oder Büste auftauchte, die Julilla auch nur entfernt glich; mutmaßlich würden die verstorbenen Julier im Haus des Princeps selbst beschwichtigt werden. Das brachte sie auf eine Idee. Sie hatte etwas vor, aber sie war sich noch nicht sicher, ob es das Richtige war. Es war ihr zudem nicht leicht gefallen, Arellius davon zu überzeugen, und das Resultat ihrer Überredungskunst bei ihrer Rückkehr zu verstecken, ehe Conopas sie sah. Vielleicht schadete es ihr mehr, als es nützte? Doch Arellius’ Ratschlag, das Schicksal seinen Lauf nehmen zu lassen, entsprach ihr so ganz und gar nicht. Stattdessen kam ihr wieder in den Sinn, was Ovidius über den Venuswurf gesagt hatte. Glück hieß, für das Schicksal Talent zu haben.
Sie atmete die frische Morgenluft ein. Trotz des Dunstes konnte man erkennen, dass es heute keine Wolken geben würde. Der Tiber glitzerte ein wenig in der frühen Sonne. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie einige der Werften an seinen Ufern erkennen und das Forum Boarium, auf dem sie verkauft worden war. Wenn sie sich irrte, dann würde sie sich vielleicht bald dort wiederfinden.
Conopas hatte sie nicht gefragt, wo sie am Nachmittag gewesen war. Er hatte nur ostentativ geschnuppert und die Nase gerümpft, als sie sich nach Sonnenuntergang wieder begegneten. Allerdings verriet er ihr auch nicht, wen Julilla besucht hatte, und sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als ihn zu fragen. Stattdessen erkundigte sie sich bei den Trägern.
Am heutigen Morgen hatte sie den Eindruck gehabt, er schlafe noch, als sie aus dem Zimmer schlüpfte, doch sie wusste, wie leicht sie sich in dieser Beziehung täuschen konnte. Viele der anderen Sklaven waren bereits auf den Beinen; der Herr empfing während der Lemuria zwar keine Klienten, doch sonst machten die Feiertage keinen großen Unterschied für den Haushalt.
Andromeda kletterte vom Dach und bot in der Küche an, der Herrin ihr Frühstück und frisches Wasser zu bringen. Sie wurde ermahnt, nichts zu verschütten, und erhielt eines der bronzebeschlagenen Holztabletts, auf denen Speisen serviert wurden, wenn keine Gäste da waren. Es war groß genug, um auch die Überraschung darauf zu verstauen, die sie in der Bibliothek versteckt hatte.
Die Tonstrix war bereits vor ihr eingetroffen und dabei, Julillas Haar zu kämmen, was möglicherweise Schwierigkeiten bedeutete. Die Herrin schien schlechter Stimmung zu sein; sie sagte gerade ungeduldig: »Pass doch auf, was du tust!«, und stach mit einer der Haarnadeln, die sie in den Händen hielt, nach ihrer Sklavin. Der Stich war nicht heftig genug, um Blut fließen zu lassen, aber man sah, dass die ältere Frau zusammenzuckte.
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